Dienstag, 3. September 2013

angekommen... und schon einiges erlebt ....

30. August 2013
Die Fahrt mit dem Liegewagen von Wien Westbahnhof nach Hamburg war sehr lustig. Schon in Wien lernte ich Michaela aus Wien Donaustadt kennen. Sie wollte nicht oben liegen, da sie Angst hatte, abzustürzen oder durchzubrechen. Ein gutes Motiv für einen Tausch, auch im Sinne dessen, der das Bett unten belegt hätte. Da ich aber ja ohnehin oben lag, machte es keinen Sinn, ihr einen Tausch anzubieten. Bis St. Pölten unterhielten wir uns so gut, dass die beiden neu hinzugekommenen Fahrgäste, Dani und Lukas, glaubten, wir reisten miteinander. Dani und Lukas sind aus der Nähe von Retz, von wo aus sie die Welt erkunden. Diesmal stehen drei Tage in Hamburg und drei weitere in Berlin auf dem Plan. Michaela hat ihr Auto mit, da sie von Hamburg aus noch ans Meer fährt, sie sammelt dort Treibholz, das sie für ihre Mobile und andere kunsthandwerkliche Objekte braucht. Michaela ist auch so ein Phänomen an Vielseitigkeit: Sie hat eigentlich ein Wirtschaftstudium absolviert, arbeitet bei einem Telekommunikationsunternehmen im Marketing und studiert jetzt so nebenbei Elektrotechnik oder so etwas in der Art. Und hat sich selbständig gemacht mit ihrem Kunsthandwerk. Dass sie drei Chinchillas (ich dachte im ersten Moment, eine Affenart, aber ich kenn mich da nicht so aus) hat, hab ich mir nicht so viel gemerkt, weil ich seither so viele Leute kennen gelernt habe, die alle so bunte Lebensläufe und so schräge Interessen haben. Dani, Lukas und Michaela sind schon arm: Sie müssen sich irgendwo zwischen Salzburg und München meine Geschichte „Tante Mitzi“ anhören, weil sie schicksalshafter Weise mit mir in einem Zugabteil sitzen und das bis Hamburg Hauptbahnhof. Ich erkläre meine Situation (bevorstehende Lesung, Schlossschreiberin, Nervosität, keine Zeit gehabt, den Text zu üben, blabla) und bitte sie um eine ehrliche Meinung. Wir kennen uns ja nicht und sehen uns vermutlich nie wieder, darum sollen sie ohne Umschweife sagen, was sie denken.
Das Absurde daran: Es wäre wichtiger, zu Menschen ehrlich zu sein, die man kennt und immer wieder sieht; daran hindert uns oft die Angst, diese Menschen zu vergraulen.

Ich beginne: „Tante Mitzi“.
Michala bekommt einen Lachkrampf.
Ich finde auch, dass meine Geschichte humoristische Elemente hat, aber den Titel fand ich noch relativ neutral.
Lukas fängt jetzt auch an zu lachen. Allerdings, so ahne ich, lacht er wegen Michaelas Lachkrampf. Ok, also noch einmal: „Tante Mitzi.“
Keine Chance, Michala und Lukas lachen weiter.
Auch eine Methode, Vortragende zum Schweigen zu bringen. „Was ist daran denn so lustig?“, unterbreche ich. Michaela meint, sie hätte nach meinen Erklärungen hinsichtlich meiner literarischen Erfolge und Bemühungen alles andere erwartet als einen Titel wie ‚Tante Mitzi’. Und Lukas sagt: „Eine Tante Mitzi hat doch jeder!“
Ja – EH!
Letztlich sehe ich das ganze als Prüfung. Ich muss einfach weiterlesen. Es kann jederzeit passieren, dass im Publikum jemand deppert lacht – aus welchen Gründen auch immer. Da muss man drüberstehen.
Michaela, Lukas und Dani sagen, sie mögen die Geschichte.

31. August 2013
Es ist Samstag Früh und Hamburg Hauptbahnhof wurlt. Ich hab ja, bitte schön, einen guten Grund für das frühe Herumgewusel. Aber wo wollen die anderen alle hin? Wo kommen die alle her? Der frühe Geist hat einen Vogel. Die S21 fährt nach Bergedorf. Unterwegs ein Ortsnamengedicht, das einem Ernst Jandl alle Ehre machen würde:
Tiefstack, Billwerder-Moorfleet, Mittlerer Landweg, Allermöhe, Nettelnburg.
Er würde sie anders anordnen, vielleicht so:

Tief stack Bill Werder, Moor fleet mittlerer.
Land weg? - Aller Möhe!
Netteln, Burg,
Berge Dorf.


Mein Favorit ist Billwerder-Moorfleet. Ich habe keine Ahnung, was das heißt. Und ich weiß nicht, ob ich mich jemals dort hintraue. Ella holt mich vom Bahnhof ab. Weder haben wir Schildchen noch sehe ich aus wie auf den Fotos, die ich geschickt hab, trotzdem erkennt sie mich sofort. Das an sich sehr hübsche Bergedorf sieht ein wenig traurig aus an diesem Samstag Morgen; es steht noch unter der Dusche und hat vergessen, warum es überhaupt aufgestanden ist. Wir gehen einen Kaffee (Kafffe) trinken und haben Wichtiges zu besprechen. Ella hatte in ihrem Mail das Wort „Gedöns“ verwendet und ich gestehe ihr, dass ich es googlen musste, um den Sinn zu erfassen. Die Aussprache muss ich üben, man spricht es nämlich so aus, als wäre da ein stummes h nach dem ö, also Gedööööööns. Es bedeutet „Zeug“. Warum, liebe Ella, sagt ihr dann nicht „Zeug“? Gedöns ist umfassender, stellt sich heraus, es ist gewiss auch nicht dasselbe wie Nippes (wie wir abends dann beschließen), denn Nippes ist klein und unnötig und steht auf dem Kaminsims, während Gedöns möglicherweise doch noch irgendeine Art von sinnvollen Elementen enthält. Es klingt jedenfalls toll, Gedööööns zu sagen. Ich habe vor, dieses Wort nie wieder zu vergessen und bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit anzuwenden.
Huug kommt später und ist fröhlich und munter. Kein Wunder, hat er doch geschätzte drei Stunden länger als Ella geschlafen. Ich freue mich, dass bis dato wildfremde Menschen mir so einen herzlichen Empfang bereiten. Am liebsten würde ich ihnen eine große Mütze Schlaf schenken (also je eine für Ella und Huug), die sie bei Bedarf konsumieren können.

Toll auch der Empfang in der Radstation am Bahnhof. So nett! Ich bekomme ein cooles Fahrrad mit Tasche gesponsert und sogar der Sattel wird mir noch extra eingestellt. Leider hab ich im Kaffeehaus schon am Klo geschwankt – eine Folge der nächtlichen Zugfahrt! – und schwanke jetzt bei der Probefahrt am Fahrrad. Da ich mit Sack und Pack Richtung Quartier muss, wird das Fahrrad vorläufig geschoben. Ella und Huug bringen mich in das große Haus einer besonders gastfreundlichen Dame (die namentlich nicht erwähnt werden will. Eine echte Mäzenin! Ich dachte, die seien längst ausgestorben). Die Gegend erinnert mich an meine Heimatstadt Baden, an die reichen Straßenzüge voller alter und neureicher Villen und dazwischen Seniorenresidenzen, die die älteren Herrschaften auffangen. Ein Wohnviertel mit viel Grün, leicht hügelig und in seiner Ruhe mancheinen schon auf Friedhöfe einstimmend. Ich habe eine ganze helle Wohnung samt Terrasse für mich allein und einen Ausblick auf einen parkähnlichen Garten am Waldesrand. Meine Gastgeberin hat mir sogar Gladiolen in eine Vase gestellt und Obst dekorativ auf dem Couchtisch angeordnet. Traumhaft! Aber: es gibt keinen Fernseher, kein Internet und der Weg nach Bergedorf verläuft holprig durch den unbeleuchteten Wald. Ja, ich bin eine erwachsene Frau, Ella, ich weiß, aber ob ich länger als bis 19 h fort gehen werde, weiß ich noch nicht! Muss ich mich eben ein wenig umgewöhnen. Und werde vielleicht sogar früher schlafen gehen. Ich habe ja hier eine Mission zu erfüllen und nicht die Nächte durchzutanzen oder um Mitternacht fernzusehen.
Das Wetter ist etwas durchwachsen, ich werde pitschnass auf meiner ersten Radausfahrt zum Lidl. Am Heimweg verfahre ich mich kurz, zum Glück hab ich keine Eile.
Meine Gastgeberin nimmt mich mit dem Auto zum Schloss Bergedorf mit. Hier versammeln sich schon Literaturinteressierte und PreisträgerInnen im zauberhaften Schlosshof. Carsten Neff fotografiert mich vor dem Schloss, in dem ich die nächsten Wochen arbeiten werde. Aber jetzt wird erstmal vorgelesen! Ella und Huug sind ein lustiges Moderatorenpaar, es macht Spaß, ihnen zuzuhören. Nach der Reihe nehmen wir auf der Bühne Platz und lesen unsere Geschichten vor: Platz 5 ist Tobias Lagemann , Platz 4 Gunter Gerlach, Platz 3 bin ich, Platz 2 Nadja Kurz und Platz 1 Mercedes Spannagel. Ich finde alle Kurzgeschichten auf ihre Art interessant.. Texte von ihren AutorInnen vorgelesen zu bekommen, ist sowieso ein Erlebnis für sich.(Dieses Foto von mir hat Carsten Neff gemacht... ich kann jetzt nicht fragen, ob ich es nehmen darf, werde das OK aber noch einholen!)
Ich bin so glücklich, dass ich gleich mit allen per Du sein will: Mit Ulf-Peter Bosse von der Bergedorfer Zeitung, mit Dr. Schanett Riller, der Direktorin des Museums im Schloss und Matthias Schöttke, dem „Guten Geist“ des Schlosses Bergedorf. Und auch mit Heidi Melis von der Hamburger Volksbank - wie schön, dass es sie alle gibt und dass sie mir diesen Aufenthalt ermöglichen. Ein großes Dankeschön auch an den Bezirk Bergedorf und Bezirksamtsleiter Arne Dornquast. Nach der Lesung haben alle Hunger und eine große Runde marschiert noch ins Blockhouse.
Mercedes und Nadja sind kamerascheu.
Was bei uns ein Fluchtachterl heißt, nennt man hier „Absacker“ oder so ähnlich. Egal, zu viert konsumieren wir (Ella, Huug, Ulf und ich) es in Form eines kleinen Biers in einem anderen Lokal. Frage mich gerade, ob allen das so recht ist, wenn ich hier so Auskunft gebe, wer wo in Bergedorf mit wem welches Bier zwitschert. Aber von der authentischen Blog-Idee schienen sie extrem begeistert, also jetzt haben sie ihre Authentizität :-)

1. September 2013
Sonntag ist heute. Mercedes und ich wollen gemeinsam nach Hamburg in die City fahren. Aber ohne konkreten Plan, einfach so. Anfangs verfahre ich mich wieder einmal in Bergedorf. Mercedes wohnt im Hotel Kuhberg, das angeblich jeder kennt. Die erste, die ich frage, ist nicht von hier, die zweite und der dritte haben noch nie von dem Hotel gehört. Versehentlich stolpere ich ins Hotel Sachsentor, dort erklärt mir ein netter Rezeptionist den Weg („beim Karstadt rechts vorbei“), aber irgendwie bleibt das Hotel für mich nicht sichtbar. Erst als Mercedes schon fast mitten auf der Straße nach mir winkt, sehe ich auch das Hotel… Mercedes und ich nehmen uns ein Ticket und fahren in die City. Zwischen Sonne und Regen und ständigem Jacke Auf- und Zumachen sehen wir viel von Hamburg.
Stundenlang wandern wir durch die Straßen, sehen die Reeperbahn, die Elbphilharmonie, die Bürohäuser von „Spiegel“, „ZDF“ und „Gruner & Jahr“ (Übrigens: „Gala“ ist übersiedelt!), an der Alster wird gefeiert und schon am Nachmittag gesoffen…

Schließlich finden wir auch das HEILIGENGEISTFELD, meine erste Geisterinspiration. Es ist ein grau betonierter Platz vor dem Millerntor-Stadion.
Eher nicht so einladend, das Heiligengeistfeld
Hier stehen vereinzelt Wohnmobile. Dem muss ich nachgehen. Es erschließt sich uns nicht, warum hier die Wohnwägen da so stehen, als wäre es ein herunter gekommener urbaner Campingplatz. Und warum heißt der Platz „Heiligengeistfeld“? Ich beobachte die Tauben.
Keine weiße Taube weit und breit am Heiligengeistfeld
Keine einzige ist weiß. Es sieht weder aus wie ein Friedhof noch ist irgendwo eine Kirche. Recherchieren ist angesagt >> Am Rand des Platzes steht ein großer grauer Klotz, ein Bunker, ähnlich unseren Flaktürmen in Wien. Dieser hier beherbergt heute Firmen und Organisationen rund ums Musikbusiness (ähnlich dem Wiener Gasometer).

2. September 2013
Die liebe Vermieterin hat mir in der Früh ein Frühstück vor die Tür gestellt, schnell angeläutet und war schon weg, wie ich aufgemacht hab. Das ist so was von lieb! Weil es heute soviel geregnet hat, bin ich Vormittags gleich gar nicht aus dem Haus gegangen. Weder war ich laufen, noch war ich einkaufen. Langweilig wird mir nicht, ich lese oder tippe am Computer. Erst am frühen Nachmittag bin ich durch den Regen in die Stadt geradelt und hab in einem netten neuen Pasta-Lokal gegessen. Eigentlich sehr romantisch, in den Regen rauszuschauen und dabei an Suzanne Vegas „Tom’s Dinner“ zu denken. Das Lokal kann ich übrigens stark empfehlen, man macht dort Pasta selbst und ein großer Teller hausgemachter Nudeln und Soße nach Wahl ist schon um 5,50 zu haben.
Um 15 h war ich pünktlich im Schloss. Matthias, mein guter Geist, hat mir aufgemacht und gemeinsam haben wir uns überlegt, wie mein Arbeitszimmer im Museum aussehen könnte. So einfach ist das alles nicht, denn ich hab Ansprüche wie eine Schlossherrin (und nicht wie eine Schlossschreiberin): Internet, Lichtverhältnisse, den Stuhl in richtiger Höhe und bitteschön ein Sofa im Nebenzimmer, um Gäste zu empfangen. Der große Sekretär, der extra für mich in das Soltau-Zimmer gestellt worden ist, hat mich sehr erheitert. Da throne ich ab nun, zwar nicht mit Feder und Tintenfass, aber mit meinem Laptop und werde sogar Amtsstunden einführen… Kaffee bei Ina im Café la note im Hof. Sie erzählt mir, dass die gesamte Inneneinrichtung von einem alten Kaffeehaus aus der Stadt stammt, das abgerissen wurde. Sie ist sehr glücklich, im Schloss das Lokal führen zu können. Auch Hochzeitsfeiern werden hier ausgerichtet.
Besuch: Ella und wenig später Schanett kommen, um zu sehen, wie es mir geht. Das freut mich und gleich wird geplaudert (für die norddeutschen LeserInnen: geklöööönt). Ich habe völlig vergessen, dass es schon spät ist. Ich muss noch einkaufen gehen…. Es ist schon 20 h vorbei, als ich heimradle. Probiere trotzdem einen alternativen Weg aus, den Matthias mir rausgesucht hat, bei dem ich nicht soviel durch den Wald und auch nicht so steil bergauf fahren muss. Es ist finster, es regnet und ich seh gar nichts, aber irgendwie schaff ich’s doch nach Hause. Das Waldstück war tatsächlich relativ kurz. Leider weiß ich nicht, ob das jetzt genau der Weg war, den wir uns im Internet angeschaut haben.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Freue mich auf viele weitere Beobachtungen, Geschichten und Gedöns!

Eva Woska-Nimmervoll hat gesagt…

danke, Anonym, ich gebe mir Mühe :-)

Claudia hat gesagt…

Hallo Eva!

Wir haben uns seit Jahre nicht mehr gesehen,aber dein Leben klingt spannend. Ist es richtig zu verstehen das Du jetzt in dem schloss arbeitest und nicht mehr in Österreich bist?

Eva Woska-Nimmervoll hat gesagt…

Hallo Claudia - ich bin nur für ein Monat hier in Hamburg, wohne in der Nähe des Schlosses und habe im Schloss ein Arbeitszimmer! Am 29.9. fahre ich wieder heim :-)